Hall Nation 2082


Szenario: «Modulares Wohnen in einer energieautarken, selbstver­sorgten Stadt.»



Team 2020: Louisa Forestier (Industrial Design), Meret Jans (Industrial Design) und Celina Springer (Interaction Design)



Kulturell- und generationendurchmischt, leben Bewohner der Stadt Zürich heute gemeinsam in sich autonom ver­sorgenden, quartierbasierten “Dörfern”. Modular organisier­ter privater Wohnraum wird durch ein breites Angebot an öffentlicher Nutzfläche ergänzt.




Andrea, 72, aufgewachsen im ehemaligen Zürich, kommt nach einem Leben als Dolmet­scherin und Hobby-Imkerin im Ausland zurück nach Hause in ihre Heimatstadt. 

Etwas desorientiert und in Dunkelheit schlägt Andrea die Augen auf. Soweit sie sich erinnern kann, hatte man ihr ein Zimmer im «Wiedikon-Dorf» zur Verfügung gestellt. Ein an der Wand fixierter, alleinstehender, mobiler Raum in einer kilometerlangen fünfeckigen Halle. Während sie sich langsam aufrichtet, spürt sie die Strapazen der langen Anreise. Wohingegen das kürzlich operierte Knie ihr zum Glück kaum Schmerzen mehr bereitet. Während sie sich auf die Bettkante setzt, wird das Zimmer dezent mit Licht erfüllt. Überrascht und neugierig zugleich, lässt sie nun ihre Füsse auf den Boden gleiten. Ein an­genehmer Teppichboden. Dieser ist, wie sie später erfährt, selbstreinigend, äusserst hygienisch und biologisch abbaubar. Er ist geruchsneutralisierend und bietet schädlichen Bakterien keine Haftmöglichkeit. Im Weiteren dient der Teppich zur Temperaturregulierung wie auch Geräuschdämmung der Zimmer. Unter ihm befindet sich ein gitter-ähnlicher Doppelboden, welcher Staub und Schmutz durchlässt. Das Ganze gerät mit einem ausgeklügelten Luft- und Wassersystem zur stromerzeugenden Verbrennungsanlage.



Sie steht auf und erschrickt, denn das Bett klappt hoch. Eine einfache Tisch­fläche ohne Beine und ein einladender Stuhl erscheinen. Den Stuhl zurück­ziehend, entdeckt sie an der Stelle, die sie mit der Handfläche berührt hatte, einen kurzen Text.



Beispiel Informationsnotiz eines Kleidungsstückes

Eine Erklärung zur Herstellung des Möbels. Sie entnimmt daraus, dass dieser 3D-Gedruckte Sessel aus im Zürichsee kultivierten Al­genfasern bestehe. Die Produktion befindet sich in der Altstadt Oerlikon. Des Weiteren ist erwähnt, dass in jedem Stuhl durchschnittlich zehn Stunden menschliche Arbeit stecke. Erst später wird sie realisieren, dass jegliche Pro­dukte in Zürich mit solchen Informationsnotizen versehen sind, welche durch Wärmekontakt aufleuchten und nach kurzer Zeit wieder verschwinden. Dies wurde eingeführt, um das Bewusstsein der Leute zu fördern und die Produk­tionskette offenzulegen.

3D-gedrucktes Möbelelement aus Algenfasern, Zucht im Zürichsee.

Nachdem Andrea den Schrecken vom runterknallenden Möbel verdaut hat, er­innert sie sich weshalb sie aufgewacht ist: eine volle Blase. Während sie sich im «Zimmer» bewegt, veränderte sich das Licht, vergleichbar mit einem Son­nenaufgang, konstant. Die kleine Nasszelle verbirgt sich hinter einer schlich­ten Schranktür und ist herausziehbar. Ihr fällt auf, dass diese Toilette sich von dem klassischen, ihr bekannten Modell, unterscheidet. Das Becken scheint flüssiges von festem zu trennen. Beim Spülgang bemerkt sie einerseits die kleine Anzeige an der Wand: “Hier wird der Stromhaushalt des “Zimmers” auf­geführt“, anderseits dass der Akkustand und die Menge im Wassertank gestie­gen sind. Sie liest, dass die heutigen Toiletten festes von flüssigem trennt und aus jedem Stuhlgang Strom und sogar Trinkwasser erzeugen. Dies generiert das Licht im Zimmer, Strom für kleinere elektrische Geräte sowie das Wasser für die selbstreinigende Toilette und das Wasser aus dem Lavabo.


Neben dem Toilettenschrank findet sich das gleiche Möbel wieder. Diesmal entdeckt sie beim Öffnen der Schranktür jedoch nur ihren Koffer und erinnert sich daran, ihn am Abend davor dort deponiert zu haben. Fast etwas ent­täuscht nimmt sie sich kurzerhand einige Kleidungsstücke aus dem Gepäck. Angekleidet, schaut sie aus dem zweiten grossen Fenster des Zimmers, mit Blick hinaus in die Weite.


5 km² Nutzfläche für den öffentlichen Nahrungsanbau in Wiedikon.

Andrea erkennt, die für die Region typischen ehemaligen Familienhäuser wieder, sie sind jetzt mit Photovoltaik ausgestattet. Balkone und Fenster­simse sind konsequent mit Gewürzpflanzen, Blumen und anderen Pflanzen versehen. Die Fläche zwischen den Häusern ist mit Wiesen und Äckern be­grünt, schmale Fuss- und Fahrradwege schlängeln sich durch die blühenden Wiesen. Andrea stellt eine grosse Vielfalt an Bäumen und Blumen fest. Diese Gegend wäre ideal für ihre Bienen, denkt sie. In der Luft kreisen Vögel. Am Boden beobachtet sie Menschen, die sich liebevoll um die Natur und ihre Schätze kümmern. Autos gibt es keine mehr. Man geht zu Fuss oder mit dem Fahrrad. Längere Strecken werden mit der Seilbahn oder dem Zug bewältigt.

Hungrig und von der Neugier gepackt öffnet Andrea ihre Zimmertür. Sie be­findet sich im 22. Stock von insgesamt 45. Über ihrem Kopf und unter ihren Füssen erstreckten sich unzählige Treppen, freischwingende Gänge sowie Liftsysteme, die zum einen den Zugang zu den Zimmern gewähren und zum anderen den Etagenwechsel ermöglichen. Beim Frühstücken wird ihr ein Stammgast erklären, dass sie zuvor durchs Fenster die «Altstadt» erspäht hatte. Diese Bezeichnung steht für den Bereich um die “Dörfer” herum. Er besteht, wie sie teilweise bereits beobachten konnte, mehrheitlich aus land­wirtschaftlich genutzten Pärken und aus ehemaligen Familienhäusern, die umfunktioniert wurden zu Kaffee-Bücherläden, Restaurant- Kleidermärkte, Atelier-Kinderkrippen oder zum Beispiel Senioren-Bäckereien. Die Kleidermärkte verkaufen Kleidungsstücke aus diesem neuartigen Lederähnlichen Stoff namens Bacteria-Textile. Diese werden von Bakterien gesponnen und teilweise mit Algen gefärbt. Nicht nur grün, wie Andrea beruigt feststellen wird.

Kleidung aus Bakterienwaben (Bilder u.a. von Kombucha Bacteria Textile)

Die Treppe herunter schreitend, erfasst sie die immense Grösse der Halle, respektive des “Dorfes”, welches eigentlich einer überdimensionierten Wohngemeinschaft gleicht. Das Ganze besitzt die Form eines Pentagons. Dach sowie Seitenwän­de sind mit UV-Glaselementen versehen. Diese sind lichtdurchlässig, bieten eine gute Isolation gegen Hitze oder Kälte und werden durch einen soliden Stahlkonstrukt zusammengehalten. An letzterem sind dicke Streben fixiert, die unter anderem ein Schiebesystem enthalten. Es erlaubt beispielsweise eine modulare Aufstellung der darauf montierten quader-artigen Zimmer oder der fünf-eckigen Gemeinschafträumen, welche Wohnzimmer, Küche und Wasch­raum zugleich sind.



Nach weiteren Erkundungstouren wird sie feststellen, dass dies der Standard- Inneninfrastruktur eines “Dorfes” entspricht. Doch fürs Erste reichen all diese neuen Eindrücke, um darin Folgendes zu erkennen: Wenig scheint noch so, wie es damals gewesen war, als sie die Stadt vor 50 Jahren verlassen hat, und trotzdem fühlt sie sich willkommen und zuhause.