Animalia 2075


Szenario: «Die Menschen haben erkannt, dass Tiere für das eigene Leben fundamental sind und fördern deshalb seit 2030 aktiv das Zusammenleben in Architektur und Stadtbild mit ihnen.»



Team 2020: Denise Meier (BA Game Design), Sofia Poku (BA Scientific Visualization), Agnes Eklund (BA Industrial Design)



Da wartet er auch schon auf mich. Noah, der 70-jährige, passionierte sowie pensionierte Tierpfleger von Züri-West. Mit einem herzlichen Lächeln heisst er mich willkommen. “Ich schlage vor, wir beginnen gleich mit der Besichtigung der Unterstände für die Rehe.” sagt Noah.




Wir gehen gemütlich auf einem der vielen Kieswege in Richtung eines kleinen Waldes. Ab und an kündigt das knirschende Kies ein Fahrrad an, das an uns vorbeifährt. Von Autos fehlt hier jede Spur, die Umgebung ist, abgesehen vom Knirschen des Kieses, sehr ruhig. Einzig die grauen Wolken am Himmel verdüstern die Idylle ein bisschen.

Regenzeit in Animalia

Einige Rehe, die sich in der Nähe des Unterstandes aufgehalten haben, huschen in den Wald davon. “Hier haben wir Heu für die Rehe platziert. Wir befüllen die Raufe mittlerweile nur noch alle zwei Wochen. Zu Beginn befüllten wir sie täglich, um die Tiere anzulocken. Mittlerweile finden sie auch genügend natürliche Nahrung hier und haben sich angesiedelt.” erklärt mir Noah. “Rehe sind ja sehr scheu, wieso wollt ihr sie dann anlocken?” frage ich. Er erklärt mir, dass die Rehe für den Wald extrem wichtig sind, da sie sozusagen die Gärtnerarbeiten im Wald erledigen und somit die Biodiversität fördern. Und da sie scheu sind, ist der Unterstand auch eher weit entfernt von den Siedlungen aufgebaut worden.

“Komm, wir gehen weiter. Ich möchte dir noch die Bienenhotels zeigen” sagt Noah und führt mich wieder ins Siedlungsinnere. Auf dem Weg dorthin kommen wir an einigen Laubhaufen vorbei. “Habt ihr keine Stadtgärtner angestellt, die den Dreck da wegräumen?” frage ich Noah. “Du nennst das Dreck?” wundert er sich. Er erklärt mir geduldig, dass diese Laubhaufen ein Habitat für Igel, kleinere Nagetiere sowie Insekten sind. Die Igel fressen die Schnecken auf, die sonst einigen Pflanzen zum Verhängnis werden. Und die Insekten machen die Erde locker.

Nach wenigen Gehminuten kommen wir bei den Bienenhotels an, die einige Meter entfernt von der Siedlung stehen, gerade neben einigen Obstbäumen. “Bienenhotels kennen wir ja auch in unseren Siedlungen, die sind mir bekannt” beginne ich, doch als ich diese Bienenhotels hier erblicke, verstumme ich wieder. An jedem Baum hängt eine riesige Traube, die wie ein echter Bienenstock aussieht, doch mindestens 3 mal so gross ist wie ein herkömmlicher. “Ja, auch die haben wir weiterentwickelt” meint Noah schmunzelnd. “Wir haben diese Hotels aus dem gleichen Material hergestellt wie die normalen Stöcke sind. Durch die enorme Grösse können wir aber mehr Bienen auf einem Platz halten. Wir benötigen auch so viele Völker, damit alle Bäume und Blüten bestäubt werden können.” klärt er mich auf.



Wir begeben uns nun zu den Feldern, auf denen das Futter für die Wildtiere angebaut wird. Die bereits dunklen Wolken werden immer schwärzer, bis es schliesslich riesige Tropfen vom Himmel regnet. Ich freue mich riesig, da dies bei uns ja eine Seltenheit ist, dass wir so etwas noch erleben dürfen. Ich geniesse das Nass und versinke im Moment. „Was stehst du denn so im Regen herum, komm wir gehen lieber ins Trockene, ich lade dich bei mir zum Kaffee ein. Die Felder können wir uns auch später anschauen“ meint Noah darauf. Ich verstehe das nicht. „Feiern wir hier den Regen nicht? Ich dachte immer ihr haltet Regenrituale- oder tänze ab.“ frage ich. „Nein, was für einen Quatsch! So etwas machen wir doch nicht, der Regen gehört dazu, aber wir bleiben nach wie vor lieber im Trockenen, also komm jetzt.“, meint Noah.

So machen wir uns auf den Weg zu Noahs Heim. Er wohnt in einer der Siedlungen, die dem neuen Bauprinzip folgen. Jeweils sechs Häuserblocks werden in einem geringen Abstand nebeneinander gebaut. Jeder Block besteht aus zehn Etagen mit je zwei Wohnungen pro Stockwerk. Die Fassaden sind in Erdtönen gehalten, bis auf einige grüne Stellen. Es wird noch einige Jahre dauern, bis die Fassaden und Dächer komplett begrünt sind. So wird der Kontrast zur Umgebung kleiner und die Tiere fühlen sich wohler. Neben den Häusern bleibt viel Grünraum, bis nach einigen Kilometern dann die nächste Siedlung folgt.

Momentan besteht die Fläche hauptsächlich aus Büschen und Gräsern. Ab und an hat es Gruppierungen von Jungbäumen. In einigen Jahren sollen so kleine Waldabschnitte entstehen, in denen sich die Tiere einnisten können und nicht mehr auf die extra für sie gebaute Infrastruktur angewiesen sind. Wir betreten den Block ebenerdig. Dieser Eingang wird eher selten genutzt, denn jede Siedlung hat unterirdisch einen Anschluss an das U-Bahnsystem. Bereits beim Eingang weist Noah mich auf die Vogelnestnischen hin, die auf den ersten Blick wie eine Gruppe von Briefkästen aussehen. Obwohl die Siedlung erst drei Jahre alt ist, sind schon fast alle Nischen besetzt. „Nächsten Frühling stellen wir hier noch eine Reihe Nischen auf“ teilt mir Noah stolz mit und zeigt auf eine Stelle einige Meter neben den Nestnischen.


Zu Fuss gehen wir das lichtdurchflutete Treppenhaus bis in den zweiten Stock hoch, wo sich Noahs 1.5 Zimmer-Wohnung befindet. Beim Besichtigen bin ich verwundert, die Wohnung wirkt gar nicht so klein wie befürchtet. Eineinhalb Zimmer reichen doch normalerweise nicht für zwei Personen. „Du wirkst sehr erstaunt, was? Ja, wir haben dank unseren modularen Wohnungen überaus genügend Platz hier. Gefühlt genauso viel wie in meiner 4 Zimmer-Wohnung, als die Stadt in ihrem schlimmsten Zustand war“ klärt er mich auf. „Und wir können durch die Modularität jeden Tag komplett neu einrichten!“ fügt er mit einem verschmitzten Augenzwinkern hinzu. “Ja Züri-West war wirklich ein trauriger Ort dazumals. Wir haben immer mehr Platz für uns beansprucht und durch unseren Egoismus nicht bemerkt, dass wir somit Flora und Fauna fast irreparabel beschädigten” fährt Noah fort.

Wir gehen in die Küche, wo er für uns einen heissen Kaffee zubereitet. Der Kaffee wurde im naheliegenden Gewächshaus angebaut. “Gleiche Qualität, aber nur ein 20-minütiger Transportweg vom Feld bis in meine Wohnung” meint Noah und fügt hinzu: “bis er aber so richtig gut schmeckte dauerte es einige Jahre, doch wir müssen halt geduldig sein, solche Veränderungen sind nicht immer auf anhieb perfekt”. Noah blickt aus dem Fenster und ruft mich zu ihm: “Schau dort zwischen den Bänken. Siehst du ihn? Ein Mauswiesel. Früher war es unsere Aufgabe die Population in Schach zu halten und sie möglichst aus der Stadt umzusiedeln. Die Menschen glaubten, dass die Wiesel die Kabel ihrer Fahrzeuge frassen. Das ist natürlich Humbug. Es brauchte einige Jahre bis sie den Nutzen des Mauswiesels erkannten, nämlich die Bekämpfung von Mäusen und Ratten. Da wir hier sowieso keine Autos mehr haben, sondern viel mehr Gemüseanbauflächen, wurde es zu meiner Aufgabe die Wiesel zu schützen und ihre Population zu vergrössern.” Ich beobachte das Mauswiesel beim Überqueren eines Gehweges. Bei mir zuhause wäre er wahrscheinlich schon überfahren oder verscheucht worden.



“Oh warte kurz”, sagt Noah und unterbricht so meine Gedanken. Besorgt schaut er auf das Display an seinem Handgelenk. “Das ist heute schon die dritte Dachsbegegnung in diesem Quartier. Da müssen wir etwas ändern.” meint er etwas beunruhigt. Ich schaue ihn verwirrt an und frage, was das Ding an seinem Handgelenk sein soll. “Das trägt jeder Bürger, das ist eine SmartScent. Begegnen wir einem aggressiven Tier, können wir einen neutralisierenden Duftstoff damit abgeben, der uns für das Tier “unriechbar” macht. Wir Tierpfleger erhalten zusätzlich eine Nachricht, wenn besonders viele Duftstösse an einem Ort abgegeben wurden. Dann wissen wir, dass wir etwas unternehmen müssen. Ja, auch das gehört zu unserem Job. Manchmal müssen wir auch dafür sorgen, dass es nicht zu viele Tiere an einem Ort gibt.” erklärt mir Noah. “Was, ihr tötet die Tiere?!” frage ich entsetzt. “Nein nein, keine Sorge.” beruhigt er mich. “Die Artenregulation überlassen wir meistens der Natur. Normalerweise reicht es, wenn wir die Futterstellen umplatzieren oder sogar abschaffen, denn die Tiere haben mittlerweile ein gutes, natürliches Habitat, in dem sie unsere Hilfe nicht mehr brauchen.”